Bogensport Center Thomas Nibbe

Schießen mit den Compoundbogen Teil 2 - Endboss Bogenarmdrehung?

Was bekommt jede*r Einsteiger*in in der ersten Stunde gesagt?
Ganz genau: „Dreh deinen Bogenarm weg, sonst bekommst du blaue Flecken.“

Da diese Bewegung für viele allerdings völliges Neuland ist – und es häufig auch an Schulterbeweglichkeit fehlt – bleibt es gerade am Anfang eben doch oft nicht bei blauen, sondern manchmal auch bei richtig schmerzhaften Flecken.

Die intuitive Lösung vieler Einsteiger*innen: den Bogenarm nicht ganz durchstrecken.
Und ja, auf den ersten Blick verhindert das tatsächlich den Sehnenschlag. Aber gleichzeitig entsteht ein kleiner Teufelskreis:

  • weniger Stabilität in der Schulter
  • unpräziser Druckpunkt
  • instabile Stützlinie
  • wieder Sehnenschlag
  • und durch die variierende Auszugslänge ein Trefferbild, das aufgeht

Nicht genau das, was man sich zu Beginn erträumt.

Zwei Stile - eine Erkenntnis

Vor einigen Jahren standen wir im Training an der Linie. Tom hatte beschlossen, die kommende Hallensaison mit dem Compoundbogen zu bestreiten. Also vertiefte er sich in Videos der World Cups – und machte eine spannende Beobachtung:

Es hatten sich zwei klar unterscheidbare Schießstile entwickelt.

Doch bevor wir über diese Stile sprechen, halten wir eine Sache fest:

Die Position der Bogenhand im Griff verändert sich im Grundsatz nicht.

Wir gehen davon aus, dass die Hand so im Griff steht, dass eine klare Drucklinie entsteht. Je nach Anatomie, Präferenz und Griffdesign bedeutet das entweder eine gleichmäßige Druckverteilung in der Höhe oder einen etwas tiefer liegenden Hauptkontaktpunkt.
(Hierzu sollte übrigens auch euer Stabilisatorsystem passen – es unterstützt euren Druckpunkt im Zielvorgang, nicht umgekehrt 😉.)

Druckverteilung – einmal quer, einmal längs

Kurzer Reminder: Wir haben bisher über die Druckverteilung um die Transversalachse, auch Querachse genannt, gesprochen. Falls dir die Körperachsen nichts sagen: Schau dir unbedingt unsere heutige Grafik dazu an – besonders für Trainer*innen ist das enorm hilfreich, um Soll- und Ist-Bewegungsdifferenzen besser zu erkennen.

Und wie sieht es um die Längsachse aus?

Idealerweise bewegt sich der Bogen beim Abschuss neutral nach vorne. Beim Compound kann das auf zwei Wegen erreicht werden:

  1. Gleichmäßige Druckverteilung links/rechts.
    Die Hand liegt so im Griff, dass sich keine seitliche Dominanz ergibt.
  2. Druckverteilung bewusst zu einer Seite verlagern.
    Die Cams der meisten Compoundbögen werden durch den Kabelgleiter ein wenig zur Seite gezogen. Bei einigen Set-Ups verkantet der Bogen also nach rechts um die Längsachse. Um das zu kompensieren, kann eine leicht verstärkte Belastung auf der dem Kabelgleiter gegenüberliegenden Griffseite sinnvoll sein, um das System wieder zu neutralisieren.

Wie viel genau?
Kurz gesagt: so viel, dass der Bogen ohne zu Verkanten nach vorne läuft.

Viele Schützinnen nutzen als Referenz die Spitze des Monostabilisators. Ich persönlich beobachte zusätzlich im Vollauszug das Abrollverhalten der Cams.

Körperachsen
Der spaßige Teil: die Bogenschulter

Eine stabile Bogenschulter erreichen wir auf zwei Wegen:
klassisch – oder wir begeben uns auf die wirklich „dunkle Seite der Macht.“

  1. Der klassische Stil

Der Bogenarm wird gestreckt, der Oberarm nach innen rotiert. Dadurch spannen sich Trizeps und hinterer Deltamuskel, Brust und Latissimus unterstützen je nach Ausrichtung des Oberkörpers.

Vorteile:

  • einfach wiederholbar
  • ruhiger Zielvorgang, besonders bei Schütz*innen mit stabiler Haltung im Oberkörper und Stützarm
  • gut für alle, die ein tendeziell eher leichtes Set-Up bevorzugen

Nachteile:

  • Zielvorgang wird statischer
  • weniger reaktiv bei Wind oder Fehlern
  • du musst dich stärker auf einen sauberen Schussaufbau verlassen
  1. Die alternative Variante

Und jetzt wird’s spannend:
Wir strecken den Bogenarm nicht – gar nicht.
Bevor ihr als Trainer*innen die Protestplakate rausholt: ruhig Blut.

Der Arm wird leicht gebeugt und in die entgegengesetzte Richtung gedreht. Die Ellbogenspitze zeigt fast senkrecht zum Boden. (Keine Sorge: normaler­weise habt ihr trotzdem genug Abstand zum Sehnenstopper.)

Probiert es mal trocken aus.

Was spürt ihr?

  • Die Soll-Drucklinie findet sich intuitiver.
  • Längs- und Querachse des Druckpunkts fühlen sich kontrollierbarer an.
  • Brustmuskel und Latissimus arbeiten deutlich stärker.
  • Die Bogenschulter steht tiefer und stabiler.

Mehr Muskelmasse = größerer Kraftpuffer = mehr mögliche Masse am Bogen = ruhigeres Zielbild.

 

Klingt fantastisch – aber es hat zwei klare Nachteile:

  1. Der Ankerpunkt wird möglicherweise instabil.
    Ungeübte Schütz*innen „schwimmen“ nach hinten, Peep-Position und seitliches Verhältnis von Anker- und Druckpunkt in der Frontalebene verändern sich, das Trefferbild geht auf.
  2. Der Druckpunkt wird abhängig von der Zugrichtung.
    Jede kleine Variation im Zug verändert den Druckpunkt um Längs- und Querachse.
    Bedeutet: Wer auf der Zugseite noch unsauber arbeitet, verschlimmert seine Visierbewegung eher, statt sie zu beruhigen.

Für fortgeschrittene Schütz*inne kann diese Technik Gold wert sein – für Anfänger*innen meist nicht.

Und was heißt das nun für dich?

Ja, das war viel. Und ja, es war technisch.

Aber aus der Praxis kann ich sagen: Es lohnt sich, beides auszuprobieren.

Vergesst nur bitte nicht, eure Auszugslänge anzupassen, wenn ihr wechselt!

Am Ende zählt, dass du dich wohlfühlst, und die Technik zu dir, deiner Anatomie, deinem Bogen und deinem persönlichen Schießstil passt.

👉Der Bogenarm mag „nur“ die Verbindung zwischen Hand und Schulter sein – aber er kann das gesamte System stabilisieren oder destabilisieren. Und manchmal entscheidet genau das über zehn Ringe oder neun.

So meine Lieben, ich habe es also versucht, wirklich und ehrlich! Aber schon in Artikel zwei sind mir viele viele Fachbegriffe mit reingerutscht und ich entschuldige mich dafür. Aber ich bin jetzt mal frech und behaupte ihr seid auch deswegen hier, dass ihr den Bogensport von einem sportwissenschaftlichen Standpunkt aus kennenlernen möchtet. 😉

Präzise ins Gold.

Eure Johanna 🎯